Eine Branche zwischen Ernst und Erheiterung

Eine Branche zwischen Ernst und Erheiterung

Der Besuch des FAMS-Ausbildungsjahrgangs 2018 der beruflichen Schule für Medien und Kommunikation Hamburg (bmk) auf der Research & Results 2019 in München bot den Nachwuchsmarktforschern vor allem eines: ein Wechselbad an Gefühlen und Eindrücken und viel Stoff zum Nachdenken.

Wie tickt die Marktforschungsbranche?


Messen sind ein willkommener Tummelplatz, wenn man sich einen ersten Überblick darüber verschaffen möchte, wie eine Berufsbranche oder (Hobby)Sparte tickt. Doch während man z.B. auf Angel- oder Reitsportmessen auch viele pferd- und fischbegeisterte Privatleute antrifft, die sich erst nach Feierabend hinter die Rute klemmen oder in den Sattel schwingen, gibt es sicher niemanden, der die Marktforschung als Privatvergnügen betreibt, sich im Hobbykeller mit Regressionsanalyse und biotischer Beobachtung beschäftigt und Poster von Andreas Pohle an die Wand hängt. Behaupte ich zumindest.

Vorfreude auf eine Woche geballtes Fachwissen

Die Research & Results 2019 in München lockte deshalb primär mit ihrem hohen Grad an Professionalisierung. Das gesamte Who's Who der Branche versprach sich, dort zu versammeln. Dementsprechend begeistert waren wir als FAMS-Jahrgang 2018, dass wir in diesem Jahr – wie jeder Ausbildungsjahrgang – bei der Messe in München dabei sein durften. Der Slogan „The Market Research Show“ (wenngleich „Show“ im Englischen synonym zum deutschen Begriff „Messe“ verwendet wird) weckte bei uns wilde Assoziationen – nicht (nur) wegen der Aussicht auf eine Woche Klassenfahrtfeeling und Münchener Biergärten. Wir waren neugierig auf das Gesicht der Branche und die vielen neuen Fachthemen, die das Veranstaltungsprogramm ankündigte.

Über Kameras am Futterplatz des Familienhundes

Bevor wir uns am 23. und 24. Oktober aber in die Menschenmassen stürzen konnten, stand am Tag davor noch ein Besuchstermin bei einem großen Marktforschungsinstitut auf dem Programm, der sanft schon einmal das einleitete, was uns an den folgenden beiden Tagen erwarten würde: gnadenlose Reizüberflutung. In halsbrecherischem Tempo jagten wir geistig gemeinsam mit den Referenten durch die unterschiedlichen Forschungsschwerpunkte und Abteilungen und während man in einem Moment angesichts von Menschen, die für Marktforschungszwecke die Futterplätze ihrer Hunde per Kamera überwachen lassen, noch verwundert blinzelte, staunte man im nächsten Augenblick bereits über die Möglichkeiten, die mittels Virtual Reality durchgeführte Car Clinics bieten.

Die Big Data-Welle reiten oder absaufen?

Bereits nach den ersten Stunden hatten wir – oder zumindest ich – das Gefühl, dass die Marktforschungsbranche aktuell viel Mühe darin investiert, sich selbst zu überholen. Dieser Eindruck nahm auch auf und nach der Messe nicht ab. Inmitten der Fluten von Auswertungstools und Vorträgen zum Thema ‘automatisierte Datenverarbeitung‘ und ‚Speed Reporting‘ kam leise die Frage danach auf, wie transparent solche Methoden für einen Kunden und alle Marktforscher, die keine versierten Programmierer sind, noch sein können.

Natürlich setzt das Damoklesschwert, in das die Worte Big Data und GAFA eingraviert sind und das über Allem schwebt, die Branche unter Druck, aber ist die Zahl der Kunden und Marktforscher, die noch verstehen
möchten, was in der Black Box geschieht, in die die erhobenen Daten gekippt werden und aus der sie als hübsche Grafiken von der Stange wieder herauskommen, tatsächlich so gering? Besteht nicht die Gefahr, dass die Marktforschungsbranche ihre Beratungs- und Analysekompetenz irgendwann einbüßt, weil nur noch promovierte Datenwissenschaftler oder ITler nachvollziehen können, was mit den Daten geschieht, nachdem das richtige Knöpfchen angeklickt wurde?

Natürlich ist die technische Entwicklung nicht mehr aufzuhalten, und sicherlich ist dies auch nicht wünschenswert, denn neue Methoden bereichern die Marktforschung in vielen Bereichen, aber es bleibt die Frage danach, wie viel Fachkompetenz der Branche verloren geht, wenn kleine Institute bei diesem Tempo vielleicht bald nicht mehr mithalten können. Die Branche wird in Zukunft umdenken und sich neue Deutungshoheiten erarbeiten müssen, wenn sie weiter konkurrenzfähig bleiben will.

Onlineforschung auf dem Vormarsch

Die Kluft, die sich in der Branche auftut und die zunehmend dominante Rolle der Onlineforschung wurden auch auf der Messe deutlich. Neben technischen Gimmicks, wie Apparaturen für das Eye Tracking, VR-Brillen oder Geräten für die Elektroenzephalografie, wurde das Bild vor allem von den großen Instituten und Online-Access-Panels bestimmt. Auch in diesem Bereich kommt Bewegung in die Branche, und man spürte deutlich, dass die in der Marktforschung zum Teil mit Vehemenz geführte Diskussion um die Repräsentativität von Onlinebefragungen auf Kundenseite relativ echolos zu verhallen scheint, wie ein Gespräch mit einem Panelmitarbeiter ergab. Gerade kleinere Unternehmen am Markt würden häufiger die bequemere, weniger aufwändige und damit schnellere und – ja, da tauchte der Begriff wieder auf – agilere Variante bevorzugen, um ein Marktforschungsprojekt durchzuführen.

Ernste Worte zu Digitalisierungsfortschritt und Branchenstandards

Auf die Themen Digitalisierung, Agilität und Branchenkompetenz legten dann auch viele Workshops (wie die Vorträge auf der Messe hießen) ihren Schwerpunkt. Trotz eines teilweise Besorgnis erregenden Bildes, das eine Studie von GapFish unter Marktforschungsprofessionals malte (die als Ergebnis erbrachte, dass die Digitalisierung als strategischer Schwerpunkt 2019 in vielen Instituten thematisch in den Hintergrund rückt) trat die Branche auf der Messe aber auch mit viel Selbstbewusstsein und klaren Statements auf – ein Gesicht, das wir Neulinge als sehr sympathisch empfanden. Viele Referenten riefen dazu auf, im Zeitalter der Onlinemarktforschung die Bedürfnisse der Befragen nicht aus den Augen zu verlieren und vor allem auch in Zukunft an den hohen Qualitätsansprüchen an Erhebungsmethoden, Transparenz und wissenschaftliche Standards festzuhalten, denen sich die Branche verpflichtet.

Agiler Hürdenlauf

So innovativ die Marktforschungsbranche sich insgesamt auch gibt – wirklich interaktiv gestalteten am Ende nur sehr wenige Referenten die Workshops, obgleich der Humor niemals zu kurz kam. Mir wird jedoch vor allem das Bild eines englischsprachigen Redners im Gedächtnis bleiben, der zum Zwecke der Veranschaulichung seiner Vorstellung von einem gelungenen agilen Marktforschungsprozess keine Hemmungen davor hatte, eine Gruppe distinguierter männlicher Marktforscher in Zweierteams einen Hindernislauf durch den Vortragsraum absolvieren zu lassen. Vielleicht spiegelte diese Szene relativ authentisch die gesamte Messe wieder: Hin und wieder wehten deutliche Zeichen des Wandels durch die Hallen und verfestigte sich das Gefühl, dass die Marktforschung den neuen Herausforderungen mit einem Augenzwinkern und einer Strategie entgegen tritt, aber insgesamt tut sich die Branche scheinbar zuweilen noch schwer damit, die sicheren Gefilde der konventionellen und wohlbekannten Forschungssphären zu verlassen.

Eine Flut an Eindrücken und neue Ziele

Nichtsdestotrotz waren wir nach der Messe alle erschöpft von den vielen neuen Eindrücken und der Vielfältigkeit, mit der sich die Branche in München präsentierte. Am Ende war die „Show“ tatsächlich ‚nur‘ eine
konventionelle Messe, aber vom breiten Spektrum an Eindrücken, die wir alle dort gewinnen konnten, werden wir sicher noch längere Zeit zehren. In Anbetracht der vielfältigen Entfaltungsmöglichkeiten, die die Marktforschung bietet und die man eigentlich erst auf der Messe wirklich geballt wahrnehmen konnte, sind wir alle motiviert und mit neuen persönlichen Berufszielen in den dritten Schulblock unserer Ausbildung gestartet. Das Gesicht, das die Branche uns auf einer Messe mit sowohl ernsten als auch erheiternden Momenten gezeigt hat, war uns allen auf jeden Fall sehr sympathisch, und die Möglichkeit, über die Berufsschule an der Veranstaltung teilnehmen zu können, hat sich als tolle Chance erwiesen.

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